Pressemitteilung: Spitzenforschung braucht sichere Arbeitsverhältnisse
German Reproducibility Network fordert mehr Dauerstellen im Kontext der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz in Deutschland
München, den 20.03.2023
Der Großteil der Jobs abseits der Professur in der Wissenschaft ist von befristeten Anstellungsverhältnissen und großer Unsicherheit geprägt. Den rechtlichen Rahmen hierzu liefert das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), welches eine befristete Anstellung des Personals im akademischen Mittelbau als Ausnahmeregelung jenseits des Teilzeit- und Befristungsgesetzes vorsieht [1]. Die Bundesregierung hat sich im 2021 geschlossenen Koalitionsvertrag zu einer Reform des WissZeitVG mit dem Ziel sicherer Arbeitsverhältnisse und besser planbarer Karrierepfade in der Wissenschaft verpflichtet [2]. Anlässlich der Veröffentlichung der Eckpunkte der Reform durch das BMBF am 17.03.2023 [3] positioniert sich das German Reproducibility Network (GRN) zum dringenden Reformbedarf im deutschen Wissenschaftssystem und fordert mehr Dauerstellen.
„Die bisherige Anstellungspraxis in der Wissenschaft wird in der Regel damit begründet, dass diese Stagnation verhindere und die Bestenauslese durch entsprechende Konkurrenz sicherstelle. Beide Argumente sind aber verfehlt. Der Auswahlprozess ist systematisch verzerrt und dabei wird nicht qualitativ hochwertige Forschung belohnt, sondern eine möglichst große Anzahl an Publikationen“, erklärt PD Dr. Gordon Feld, Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiter am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit und Mitglied der GRN-Steuerungsgruppe.
„Der Fokus auf Quantität statt Qualität ist ein systematisches Problem. Wissenschaftler:innen setzen sich im Rahmen von Open Science für bessere Forschungspraktiken ein und schlagen Lösungen zur Verbesserung des Wissenschaftssystems vor, die qualitativ hochwertige Forschung und das Schaffen von Wissen wieder in den Mittelpunkt rücken“, ergänzt Dr. Tina Lonsdorf, Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiterin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Mitglied der GRN-Steuerungsgruppe.
Aktuell sind in Deutschland rund 9 von 10 Wissenschaftler:innen, die noch keine Professur innehaben, mit befristeten Verträgen angestellt [4]. Bei dem Überschreiten einer sogenannten Qualifikationsphase von 6 Jahren auf haushaltsfinanzierten Stellen nach der Promotion, die Wissenschaftler:innen zur Erreichung einer festen Stelle Zeit haben, erwartet sie in der Regel das Karriereaus. Die aktuellen Reformpläne des BMBF sahen eine Verkürzung dieser Phase vor und würden damit die Situation verschlimmern, ohne gleichzeitige oder vorgeschaltete konkrete Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils an Dauerstellen.
„Die durch das WissZeitVG legitimierten Befristungssituation schafft eine fehlgeleitete Konkurrenz zwischen Wissenschaftler:innen. Das ist kontraproduktiv für die Qualität der Forschung. Die großen Fragen unserer Zeit benötigten stattdessen mehr Kooperation - auch über die Disziplinen hinweg - anstatt eines Wettrennens um die wenigen verfügbaren Dauerstellen“, kritisiert Maximilian Frank, Doktorand an der LMU München und Mitglied der GRN-Steuerungsgruppe.
„Sichere Arbeitsverhältnisse und genug Zeit für Forschungsprojekte sind das Fundament verlässlicher Forschung. Durch befristete Verträge und mangelnde Zukunftsaussichten können Wissenschaftler:innen aber nicht daraufsetzen, dass ihnen gute Forschungspraktiken einen sicheren Job verschaffen wird. Das geht auf Kosten von wissenschaftlichem Fortschritt und der Wissenschaftsfreiheit. Gute wissenschaftliche Praxis und konsistente, transparente Arbeit müssen sich lohnen“, so Dr. Rima-Maria Rahal, Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und Mitglied der GRN-Steuerungsgruppe.
Spezifische Reformvorschläge, insbesondere die Erhöhung des Anteils von Dauerstellen im Wissenschaftssystem lieferten Mitglieder des GRNs zuletzt im Februar 2023 in einer im Journal Nature Human Behaviour erschienen Analyse der problematischen Anreizsetzung mit vorwiegend befristeten Beschäftigungsbedingungen [5]. Verlässliche Spitzenforschung und hohe qualitative Anforderungen, so schlussfolgern die Autor:innen, brauchen eine solide Basis in langfristigen Beschäftigungsverhältnissen.
„Die Politik gibt die Rahmenbedingungen für Beschäftigungen in der Wissenschaft vor. Damit ist sie auch in der Verantwortung etwas zu ändern, wenn diese Bedingungen falsche Anreize setzen, so wie es im Moment geschieht. Jetzt ist es an der Zeit, die vielfach vorgeschlagenen Lösungen umzusetzen und mehr Dauerstellen zu schaffen“, erklärt Prof. Dr. Felix Schönbrodt, Geschäftsführer des LMU Open Science Centers und Mitglied der GRN-Steuerungsgruppe abschließend.
Bei Wissenschaftler:innen aller Karrierestufen haben die Reformpläne des BMBF großen Widerstand hervorgerufen. Erfreulicherweise signalisierte Staatssekretärin Döring daraufhin, dass eine erneute Überarbeitung der Reformpläne stattfinden soll. Das GRN bietet sich auch hier als Gesprächspartnerin an, um die eine Reform zu unterstützen, die den Wissenschaftsstandort Deutschland stärkt. Es ist an der Zeit für eine umfassende und tiefgreifende strukturelle Änderung im Wissenschaftssystem.
Quellen
[1] https://www.gesetze-im-internet.de/wisszeitvg/
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/gesetzesvorhaben/koalitionsvertrag-2021-1990800, Seite 23ff.
[3] https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/230317-wisszeitvg.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[4] https://www.buwin.de/dateien/buwin-2017.pdf
Über das German Reproducibility Network
Das German Reproducibility Network wurde 2020 als disziplinübergreifendes Netzwerk gegründet und setzt sich mit seinen über 30 Mitgliedern für Vertrauenswürdigkeit und Transparenz in der Wissenschaft ein. Bestehend aus lokalen Open Science Initiativen bis hin zu institutionellen Mitgliedern wie Universitäten bildet es die Bandbreite der Open Scholarship Akteure in Deutschland ab. Die Steuerungsgruppe koordiniert die Aktivitäten und vertritt das GRN nach außen.